Ein Hund, der nicht alleine bleiben kann, ist eine sehr belastende Situation für beide Seiten - Mensch und Hund. Der Mensch ist in seinem Leben eingeschränkt, während der Hund Ängste aussteht, wenn er alleine sein muss. Aber was ist trennungsbezogenes Verhalten und wie entsteht es?
Trennungsbezogenes Verhalten ist in erster Linie v.a. biologisch sinnvoll, da es den Zusammenhalt der Gruppe und den von Bindungspartnern sichert. TBV (Überbegriff für Trennungsstress, Trennungsangst) unterscheidet sich neurobiologisch von der Emotion Angst, da andere Gehirnstrukturen aktiv sind. TBV wird laut Panksepp der Primäremotion „Griefing“ zugeteilt (und nicht „Fear“). Die Primäremotion „Fear“ betrifft eine unspezifische Angst, während es beim TBV um den Gruppenzusammenhalt und den Verlust des Bindungspartners geht.
Der Hund wird von seinem Bindungspartner getrennt - dies tut weh und der Hund kann hier - je nach Ausprägung - auch körperlich leiden. Jeder, der einmal von seinen Lieben getrennt war, kann dies nachvollziehen.
Die Symptome von TBV können vielfältig sein und nicht immer werden sie als solche erkannt:
• Lautäußerung: Lautäußerungen, die mit TBV verbunden sind, bestehen aus hohen Tönen, die langanhaltend oder oft hintereinander produziert werden. Wenn Bindungspartner getrennt werden, ist eine Möglichkeit die Verbindung zu halten oder wiederherzustellen, den anderen zu rufen! Es ist also ein biologisch absolut sinnvolles Verhalten des Hundes, zu bellen oder zu heulen.
• Destruktives Verhalten: Es können verschiedene Objekte, Gegenstände, die nach der Bezugsperson riechen oder v.a. Barrieren zerstört werden, die den Hund daran hindern, dem Menschen zu folgen.
• Absetzen von Urin und Kot: Dies ist kein „Protest“ des Hundes, wie es oft fehlinterpretiert wird, sondern ein Zeichen massiven Stresses in Abwesenheit des Besitzers.
Jedes einzelne dieser Symptome kann auch in anderen Zusammenhängen auftreten. Es ist wichtig die Details des Verhaltens zu analysieren.
Seltener beschrieben Symptome:
• Appetitlosigkeit & Lethargie
• exzessives Speicheln und Hecheln
• Erbrechen & Durchfall
• Selbstverletzung
• exzessives Schwitzen über die Pfoten
• repetitives Verhalten: Hin- und Hergehen in derselben Schleife
• zittern
• einfrieren/ Unbeweglichkeit (depressionsähnlich)
Bereits beim Weggehen der Bezugsperson kann der Hund ängstlich, depressiv oder aufgeregt erscheinen. In manchen Fällen reagiert der Hund aggressiv auf das Weggehen der Bezugsperson, springt an ihr hoch, beißt in die Kleidung oder die Bezugsperson selbst und versperrt den Weg zur Tür. Auch wenn der Hund direkt hinter der Tür liegt oder seinen Kauknochen in Abwesenheit der Bezugsperson verschmäht, zeigt dies, dass er mit der Abwesenheit des Besitzers nicht gut klar kommt.
Oft bleiben diese Symptome sehr lange unbemerkt oder werden nicht mit TBV in Verbindung gebracht, da der Hund still leidet. Erst wenn sich die Nachbarin über stundenlanges Heulen beschwert, wird der Besitzer auf das Verhalten aufmerksam.
TBV ist für beide Seiten massiv belastend. Der Hund kann unter depressionsähnlichen Zuständen leiden und die Lebensqualität von Hund und Besitzer sind massiv beeinträchtigt.
Tierheimhunde oder Hunde mit traumatischen Erlebnissen:
Oft leiden Hunde, die ausgesetzt oder abgegeben wurden unter TBV, da sie diese Situation bereits erlebt haben.
Frustration spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Entstehung von TBV - Frustration darüber, dass der Hund seine Situation nicht verändern kann. Hierbei spricht man von Kontrollverlust. Früher wurde bei dem Begriff Kontrollverlust so definiert, dass der Hund den Menschen nicht mehr kontrollieren kann. Dabei ist mit diesem Begriff gemeint, dass der Hund keine Kontrolle über seine Situation hat. Er kann also nichts tun, dass er sich besser fühlt. Sein Bindungspartner ist nicht anwesend und egal, was der Hund tut, das Verhalten ist nicht zielführend. Der Bindungspartner kommt weder durch Jaulen zurück, noch kann er ihm folgen, da alle Türen versperrt sind. Dadurch steigt die Frustration des Hundes, manche Tiere zeigen sogar depressionsähnliche Zustände.
Bei vielen jungen Hunden, die noch KEINE Trennungsreaktion zeigen, reicht es aus, sie langsam an das Alleinebleiben zu gewöhnen.
Man beginnt mit kurzen Ignorierzeiten: Der Welpe bekommt eine Beschäftigung und lernt, dass der Bindungspartner für eine kurze Zeit nicht zur Verfügung steht (weil sich dieser gerade eine Serie ansieht) und sich der Welpe alleine beschäftigen soll.
Kurze Trennungszeiten: Je sicherer sich ein Welpe fühlt, desto einfacher ist es. Zu Beginn darf der Welpe überallhin folgen, damit er ein Urvertrauen entwickeln kann - „Mama ist eh immer da und verfügbar“. Nach einiger Zeit kann man kurz den Raum verlassen und zurückkehren, z.B.: um auf die Toilette zu gehen oder schnell zu duschen. Anfangs läuft der Welpe noch nach. Bald wird er dies nicht mehr tun und dann kann man die Tür schließen.
Später kann man die Trennungszeiten kurz ausdehnen: Schnell den Müll hinunterbringen, die Post aus dem Postkasten holen, etc. Wichtig: Diese Einheiten immer nur dann einbauen, wenn alle Bedürfnisse des Hundes befriedigt sind und NIEMALS heimlich wegschleichen.
Alleinbleiben wenn bereits ein TBV vorhanden ist, ist ein langwieriges und aufwendiges Training und setzt voraus, dass der Hund während dem Training niemals einfach alleine gelassen, da dies massive Rückschritte im Lernprozess nach sich zieht.
Dem Besitzer muss bewusst sein, dass es ein langer Prozess sein kann, bis der Hund wieder alleine bleiben kann. Kommen weitere Faktoren wie Geräuschangst hinzu, kann es zu starken Limitationen des Trainings kommen.
Es bedarf einer genauen Analyse des Verhaltens und eines umfangreichen Trainingsplans, da jeder Hund und jede Situation individuell ist.
Kamera: Eine tolle Möglichkeit, Trennungsproblematiken besser zu erkennen und zu verstehen ist die Installation einer Videokamera. Hier wird ersichtlich, ab wann der Hund Stressanzeichen zeigt und wo das Training bereits anzusetzen hat. Der Hund kann während des Alleinseins beobachtet werden und der Besitzer kann mit ihm sprechen. Manchen Hunden hilft dies extrem. Das Sprechen über die Kamera muss der Hund kennenlernen. Dies erfolgt ganz einfach, indem man über die Kamera spricht, während man neben dem Hund steht und dies einfach auf weitere Räume ausdehnt.
Schutzzone aufbauen: Der Hund braucht einen Rückzugsort, an dem er sich wohl fühlt. Für viele Hunde ist dies eine Box, die IMMER offen bleibt. Eine Box bietet von Natur aus Schutz, da der potenzielle Feind nur von einer Richtung aus angreifen kann. Daher fühlen sich viele Hunde instinktiv wohl und schlafen entspannter.
Aufbau der Box: Die Box einrichten, sodass sich der Hund wohl fühlt. Manche mögen es kuschelig, andere Hunde schlafen lieber auf härterem Untergrund. Zusätzlich ein T-Shirt, das nach dem Besitzer riecht, in die Box legen. Das T-Shirt wechseln, da nach einiger Zeit der Geruch nachlässt. Regelmäßig eine Schleckmatte in die Box legen.
Ritual aufbauen: Dem Hund ein verbales Signal geben, als Zeichen dafür, dass man den Raum verlässt.
Z.B: „Baba“ und man geht einige Schritte vom Hund weg. Man kommt zurück und belohnt den Hund. Das dehnt man immer weiter aus, bis man duschen gehen kann.
Das Signal soll versprechen, dass man wieder zurück kommt.
Trigger desensibilisieren: Das Verlassen der Wohnung ist mit vielen Triggern verknüpft: Das Anziehen der Schuhe und der Jacke, nach dem Wohnungsschlüssel greifen, die Handtasche nehmen, das Licht abdrehen,….
All diese Dinge sollten immer wieder in den Alltag eingebaut werden, ohne dass etwas passiert.
Z.B.: Der Hund bekommt eine Schleckmatte, der Besitzer zieht sich die Schuhe an, geht ein paar Schritte in der Wohnung und zieht sich diese wieder aus.
Der Besitzer greift nach dem Wohnungsschlüssel, geht damit ins Badezimmer und putzt sich die Zähne. Danach legt er den Schlüssel wieder zurück.
Bedürfnisse erfüllen: Dem Hund fällt es leichter alleine zu bleiben, wenn seine Bedürfnisse erfüllt sind: Zuerst ein schöner Spaziergang, bei dem er die Umwelt erkunden kann. Danach darf er noch mit seinem Besitzer spielen bevor eine Runde gekuschelt wird. Er erhält dann noch sein Futter, denn satt zu sein ist ein Grundbedürfnis.
Hintergrundgeräusche: Manchen Hunden fällt es leichter alleine zu bleiben, wenn sie den Fernseher oder Radio laufen haben. Andere Hunde bevorzugen vollständige Stille. Ein heißer Tipp ist braunes oder weißes Rauschen abzuspielen. Dies eignet sich besonders für Hunde mit Geräuschangst, da es sich hierbei um ein gleichmäßiges Geräusch handelt, das einzelne Laute (wie Klopfen oder Kindergeschrei) verschwimmen lässt. Der Hund nimmt es nicht mehr wahr.
Sonstiges:
Raum verlassen üben:
Der Besitzer geht von Raum zu Raum, ohne dem Hund Beachtung zu schenken. Der Hund wird nicht bösartig ignoriert, aber auch nicht beachtet. Zu Beginn kann der Hund noch jeden Schritt nachlaufen, nach einiger Zeit wird ihm dies aber zumeist zu dumm und er bleibt in einem Raum.
Dies eignet sich auch hervorragend, wenn man sowieso etwas zu tun hat wie z.B.: die Wohnung Zusammenräumen ;-)
Für andere Hunde muss man zusätzlich die Maßnahme setzen, dass man ihn immer belohnt, wenn man in einen bestimmten Raum zurückkehrt, in dem der Hund warten soll.Belohnt man ihn immer in der Box, wird er nach einiger Zeit in der Box warten, weil er immer hier seine Verstärkung erhält. Die Zeiten, in denen man zurückkehrt und ihn belohnt, werden verlängert.
Danach wird zusätzlich eingebaut, dass man kurz die Haustür schließt und wieder zurückkommt.
All diese Maßnahmen sind unterstützend und lösen nicht das Problem.
Bei bereits länger bestehenden und extremen Symptomen, hohem Leidensdruck auf beiden Seiten und angestrebten längeren Trennungszeiten mit Mangel an Trainingsmöglichkeiten ist es sinnvoll, über eine Medikation nachzudenken.
Psychopharmaka sind eine Möglichkeit, Lernen zu verbessern, sie ersetzen es aber nicht. Trainieren muss man trotzdem. Die Gabe darf nur nach Untersuchung einer Verhaltensmedizinerin erfolgen